Der Astronom, 1668 von Vermeer in Delft gemalt,
zeigt einen Wissenschaftler
bei seinen Studien. Die holländische Genremalerei des 17. (goldenen)
Jahrhunderts kennt vergleichsweise viele Darstellungen von Gelehrten als
Berufsgattung, wobei die als Pendant gemalten Werke
Astronom und Geograph
zu den bekanntesten gehören.
Die atmosphärische Dichte des Astronomen hat mich dabei derart
fasziniert, daß ich das Bild als Pastell
kopiert habe, um es in seinem
Aufbau genauer kennenzulernen. Der Paradigmenwechsel
in den Wissenschaften genau zur Zeit der Bildentstehung wird sogar gerade
im Vergleich beider Bilder deutlich. Ist der Astronom noch
stärker dem Humanismus verbunden, zeigt sich der Geograph, der
ein Jahr später entstanden ist, weltmännischer und praxisnäher.
Die ikonographische Deutung des Bildes wird durch die identifizierten
Gegenstände wie dem Himmelsglobus, der genauen Seite des
Lehrbuches, dem Astrolabium und dem Bild im Hintergrund erleichtert.
Die Details sind in den angefügten Zitaten
nachzulesen.
Der Teppich auf dem Tisch und seine Funktion im Bild erscheint mir als
Sinnbild einer chaotischen Natur, einer ungeordneten, vielfältigen
Welt, die den Ausgangspunkt aller Naturforschung darstellt, das Urbild.
Viele feine Lichtpunkte wirken wie Sterne, die
sich in der tiefen Dunkelheit des unendlichen Raumes oder in den Falten
des Teppichs allmälich verlieren.
Portugiesische Juden brachten ihre Kenntnisse als Linsenschleifer im
holländischen Exil in die Entwicklung neuer technischer Hilfsmittel
wie Mikroskope und Teleskope ein. Neue Bilderwelten wurden sichtbar,
das Kleinste und das Fernste rückte plötzlich in greifbare
Nähe.
Der Wissenschaftler wird zwischen diesen Urbildern
und ihrem Abbild auf dem Himmelsglobus, seinem Modell der Welt,
als ein Bindeglied dargestellt. Er greift bildlich mit der linken Hand
diese Dinge auf und sublimiert sie durch sein Erkennen in die idealisierte
Form, die Weltkugel, die er mit seiner rechten Hand berührt.
Susanne Krömker
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Der Astronom,
1668
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Der Geograph,
1669
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Arthur Wheelock ist der Annahme, daß die beiden Werke von Anthony
van Leeuwenhoek in Auftrag gegeben wurden und auch ihn selbst darstellen.
Van Leeuwenhoek, ein Bürger Delfts, war der Erfinder des Mikroskops.
Ein Historiker der Stadt rühmte seine Kenntnisse der
"Navigation, Astronomie, Mathematik, Philosophie und der
Naturwissenschaften". Gemäß Wheelock besteht eine
große Ähnlichkeit zwischen dem auf diesen Bildern
dargestellten jungen Mann und dem Porträt von van Leeuwenhoek,
das 18 Jahre später im Jahr 1686 gemalt wurde.
Van Leeuwenhoek war gleichaltrig mit Vermeer und wurde nach dem Tod des
Künstlers als sein Nachlaßverwalter eingesetzt.
[ . . . ]
Jodocus Hondius
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Jan Verkolje
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zititert nach:
John Nash,
Vermeer
Scala Books
Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der
Rijksmuseums-Stiftung, Amsterdam, 1991
S. 104 ff.
Vermeer malte beide Bilder zu einer Zeit, als sich wissenschaftsgeschichtlich
ein radikaler Paradigmenwechsel vollzog. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts
hatte die von konservativen Humanisten wie Sebastian Brant
("Das Narrenschiff", 1494) vertretene Lehre Bestand, daß es vermessen
und ein unzulässiger Eingriff in den göttlichen Heilsplan sei,
wenn man sich mit der Natur der Sterne und mit der Geschichte der Erde
sowie ihrer Ausdehnung und Beschaffenheit forschend befasse.
[ . . . ]
Der Astronom wurde gemalt, als Ludwig XIV. in Paris eine Sternwarte
errichten ließ (1667-72). 1668 verbesserte der junge Isaac Newton
das von James Gregory 1663 entwickelte Spiegelreflektorteleskop. Über ein
Jahrzehnt zuvor hatte Christian Huygens im Haag mit seinen Fernrohren den
sechsten Saturntrabanten entdeckt. Astronomische Aktivitäten wie
die hier genannten hatten große praktische Bedeutung für die
Navigation, sie standen im weitesten Sinne im Dienst des (See-)Handels.
[ . . . ]
Vermeers Bild des Astronomen ist hinsichtlich des Sinngehalts
nicht eindeutig einem bestimmten Wissenschaftsparadigma zuzuweisen.
Weder wird die Astrologie scharf abgelehnt noch wird für die neue
Wissenschaft der Astronomie plädiert. Der Geograph arbeitet
vielleicht schon ein wenig mehr im "moderen" Sinne, denn die nautische
Pergamentkarte an der Wand - es ist die von Willem Jansz. Blaeu
herausgegebene Seekarte von Europa ("PASCAARTE/van alle de Zëcusten
van/EVROPA"; Maße des Originals: 66 x 88 cm) - verweist, anders als
das Mose-Bild, nicht auf spirituelle Aspekte, sondern auf den praktischen
Nutzen der Wissenschaft der Erdbeschreibung für die Seefahrt. In den
späten sechziger Jahren beschäftigten Probleme des Seehandels die
niederländische Nation: In dem unter Admiral de Ruyter siegreich
beendeten Seekrieg gegen England (1665-67) ging es um die Vorherrschaft in
der Nordsee, um Fischereirechte und den Schutz der niederländischen
Frachtschiffahrt, die durch Protektionsmaßnahmen der englischen
Regierung zugunsten ihrer Kaufmannsgilden gefährdet war.
zititert nach:
Norbert Schneider,
Jan Vermeer
1632-1675
Verhüllung der Gefühle
Benedikt Taschen Verlag, 1993
S. 75 ff.
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